"Tod der Schlangenfrau" (Auszug)

Leseprobe


„Schminke, Staub und Körperpuder ...“, wisperte Auguste und schnupperte hingerissen, als sich der schwere, rote Samtvorhang des „Wintergarten“-Varietés nach der Pause wieder hob und der unverwechselbare Bühnenduft zu ihr hinunterwehte.

„... und ein zartes Häuchlein Achselschweiß“, setzte Tante Hattie schmunzelnd hinzu. 

Auguste schnupperte erneut. „Stimmt.“ 


  [...]


Die nächste Nummer bestand aus einer fünfköpfigen Damen-Imitatoren-Truppe: Ein Tusch, und schon kamen die Herren herein gerauscht und tanzten – üppig ausstaffiert mit Lippenrot, Perücken und Pleureusen – einen flotten Cancan. 

[...]

Als Nächstes würde die berühmte Pantomimin Félicia Mallet auftreten, und danach sollte es endlich so weit sein! Die Sensation des Abends: „Samirah, die Lieblingsfrau des Sultans, tanzt mit einer lebenden Königspython!“

Die pummelige Pantomimin war wie versprochen umwerfend komisch, und da die Bühnenarbeiter für den Umbau zur nächsten Nummer mehr Zeit als gewöhnlich brauchten, spielte das Orchester zur Überbrückung eine auf orientalisch getrimmte Rossini-Ouvertüre. Auguste schloss genüsslich die Augen. So nah wie sie und Tante Hattie war sonst keiner am Geschehen: erste Tischreihe, Mitte, direkt am Orchestergraben – da ließ sich Juppi Weinfurth nicht lumpen! 

[...]

„Pscht!“ Der Herr am Nebentisch protestierte zu Recht, denn jetzt stellte der Impresario persönlich – und beinahe dialektfrei – die nächste Attraktion vor: „Meine Damen, meine Herren, im ‚Passage-Panoptikum‘ sind demnächst die berühmten ‚Zweiundvierzig wilden Weiber aus Dahomey‘ zu sehen, und die Brüder Castan zeigen gleich gegenüber die ‚Riesen des schwarzen Erdteils‘: exotisch, ungezähmt und angsteinflößend allemal! Wir jedoch ...“, Juppi Weinfurth warf sich dramatisch in die Brust, „... wir zeigen Ihnen die schönen Seiten des schwarzen Erdteils! Lebendige Exoten, direkt importiert aus Afrika! Samirah, die Schlangenfrau, wurde erst jüngst aus einem ägyptischen Harem befreit und mitsamt ihren Sklavinnen und Eunuchen nach Berlin gebracht!“

Brandender Applaus!

„Und jetzt ...“, Weinfurth begab sich katzbuckelnd und wieder und wieder den Zylinder lüpfend, in Richtung Bühnengasse, „... jetzt tanzt Samirah für Sie mit ihrer liebsten Spielgefährtin: einer zwei Meter langen Königspython!“

Erneut Applaus, dazwischen vereinzelte Aufschreie empfindsamer Damen, die damit entweder an den Beschützerinstinkt ihrer Begleiter zu appellieren versuchten oder das Programmheft nicht gelesen hatten. Der Gazevorhang hob sich und gab den Blick auf ein riesiges, rundes Stoffzelt frei, vor dem ein Afrikaner saß und einem schießbogenartigen Streichinstrument fremdartige Musik entlockte, während ein schwarzer Diener – Auguste bezweifelte, dass es sich tatsächlich um einen Eunuchen handelte – einen riesigen Straußenfederfächer schwenkte. Jetzt zogen zwei verschleierte Frauen in Pluderhosen die beiden Stoffbahnen am Eingang zur Seite, und Samirah trat aus dem Inneren des Zelts ins Rampenlicht. Ein Trommelwirbel, dann wurde es totenstill im Saal und auf der Bühne. 

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