Augustes Zeit

Augustes Zeit


Wird laufend erweitert!


Berlin 1896


Wilhelm II, Deutschlands letzter Kaiser regiert, und das Deutsche Reich feiert 25 Jahre Frieden. Den letzten Krieg hat man gewonnen, die nächsten beiden werden verheerend enden. Doch noch liegen Krieg und Nachkriegs-Elend in weiter Ferne: Künste und Wissenschaften gedeihen - trotz des Monarchen mangelnder Sachkenntnis - prächtig; der technische Fortschritt ist atemberaubend, und Berlin mausert sich zur Metropole. In dieser Atmosphäre gerät die "Große Gewerbeausstellung" im Treptower Park zur zur Senstation des Jahres.

Während dessen wird der Grunewald immer weiter abgeholzt, und anstelle der Kiefern und Fichten entsteht "j.w.d." ("janz weit draußen") eine elegante "Villencolonie". 

Auf dem eigens zu deren Anbindung an die Innenstadt ausgebauten Kurfüstendamm verkehrt zwischen Gedächtniskirche und Halensee eine hoch moderne Dampfstraßenbahn.

Doch auch im preussisch-wilhelminischen Berlin werden Menschen von Habgier, Rache und Eifersucht zu Mord und Totschlag getrieben.

Allerdings befindet sich die Kriminalistik noch in den Kinderschuhen: Das Überführen mittels Registrierung von Fingerabdrücken ist ebenso wenig eingeführt wie die Tatortfotografie, und die Berliner Kriminalpolizei verfügt noch nicht einmal über eine spezielle Mordkommission. Spurensicherung ist Glückssache: Oft haben überkorrekte Mitbürger beim Eintreffen der Polizei bereits geputzt und aufgeräumt und die Leiche fein säuberlich auf die Chaiselongue gebettet; kurz: Die Verbrechensaufklärung verfügt auf keinem Gebiet auch nur ansatzweise über mit den heutigen Gegebenheiten vergleichbare Mittel und Methoden.

In dieser Situation wird Auguste Fuchs - ihres Zeichens Fotografin und Mitinhaberin des väterlichen Fotostudios – per Zufall in ihren ersten Mordfall verwickelt.


"BESTSELLER" 1896


1896: Es gab noch kein Radio und kein Fernsehen, aber das gelegentliche Eintauchen in fremde Schicksale brauchte man damals wie heute: Fontanes "Effi Briest"-Roman erlebte 1896 seine Erstauflage, Karl Mays "Winnetou"-Trilogie war bereits drei Jahre zuvor erschienen, und Emmy von Rhodens damals als "Backfischroman" bezeichneter Evergreen "Der Trotzkopf" erwämte anno 1896 bereits seit elf Jahren die Mädchenherzen. 

In Vergessenheit geraten hingegen ist ein seinerzeit als "Skandalroman" Furore machendes Buch: Gabriele Reuters "Aus gutem Hause" (1895). Reuters Heldin Agathe ist eine Leidensgenossin von Effi Briest: Auch sie scheitert am wilhelminischen Ideal der „Jungfrau, Gattin und Mutter". Reuters schonungslose Darstellung der emotionalen Verelendung ihrer Heldin wurde zum Identifikationsbuch einer ganzen Frauengeneration. In "Der Tod der Schlangenfrau" gebe ich daher beiden - Effi und Agathe - eine Stimme: In Frakturschift als Originalzitat gut erkennbar, zumal meine Romanfigur "Henrietta (bzw. "Tante Hattie") sich erdreistet, Fontane zu korrigieren: In ihrer Version brennt Effi kurzerhand mit ihrem Crampas nach Afrika durch und durchquert - an der Reling eines Dampfschiffs stehend - den Suezkanal: "... ganz in weißem Leinen. Wegen der Hitze. Links und rechts Kamele, Wüstensand und Männer in windgeblähten Gewändern ..." Ohje, wenn das der Meister wüsste!

FONTANE I


HANNA UND JENNY RUNTSCHEN


In Fontanes "Mathilde Möhring" versorgt "die Runtschen" als Reinemachfrau den Haushalt. Sie trägt eine Augenklappe wie ein Pirat, und Möhrings Mieter Mieter Hugo Großmann "grault sich" sogar vor ihr [Zitat]: "Für eine reine Schürze war zwar immer gesorgt, und den Kiepenhut, mit dem sie wie verwachsen war, mußte sie abnehmen, aber man kann nicht sagen, daß dies viel half, fast im Gegenteil, weil die Mannsstiefel, die die Runtschen bei solchem Wetter trug, in einem beleidigenden Gegensatze zu der weißen Schürze standen."

"Die Runtschen" hat bei Fontane keinen Vornamen, und man erfährt infolge der berlintypischen Namensendung "-en" (die Schulzen = Frau Schulz) nicht einmal, ob sie nun eigentlich "Runtsch" oder "Runtschen" heißt. 

Ich hab Fontanes liebenswert-skurriler Romanfigur in "Der Tod der Schlangenfrau" mit den "Runtschen-Schwestern" Jenny und Hanna - ebenfalls Reinemachefrauen - eine kleine Hommage zugedacht: Fontanes "alte Runtschen" dürfte in genau so einem Dachkämmerchen gewohnt haben, wie die beiden Schwestern ...

FONTANE II


TANTE HATTIE KORRIGIERT FONTANE


1896 erschien "Effi Briest" erstmals als gebundenes Buch. Und natürlich verschlingt Henrietta - eine meiner Hauptfiguren in "Der Tod der Schlangenfrau" - Fontanes Roman sofort ein zweites Mal, obwohl sie ihn bereits kapitelweise in der "Deutschen Rundschau" gelesen hat. Als junge Witwe eines ebenso verknöcherten Gatten wie Effis Baron von Innstetten erlaubt sie sich diesmal jedoch eine wesentliche Korrektur der Geschichte ...

FRIEDRICHSTRASSE 1896 (Teil 1)


Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde aus dem einst verträumten Doppelstädtchen Cölln und Berlin eine pulsierende Metropole, und die Friedrichstraße mit dem passenderweise auch "Central-Bahnhof" genannten Bahnhof Friedrichstraße (eröffnet 1882) bildete sozusagen deren Herzstück. Etliche dort ansässige Berlinerinnen und Berliner zogen im Verlauf der 1880er Jahre "raus in `t Jrüne", während in den zahlreich entstehenden Neubauten Banken, Hotels und Amüsiertempel wie das Wintergarten-Varieté und das Apollo-Theater entstanden. Reisebüros, Anwaltskanzleien und die unterschiedlichsten Ladengeschäfte etablierten sich, und um die Jahrhundertwende gab es in den Häusern 108 und 138 gleich zwei Filialen des Fuchs´schen Fotoateliers. Letztere dienten als Blaupause für das Atelier Fuchs in "Der Tod der Schlangenfrau". Im Roman zitiert werden außerdem die beiden konkurrierenden Wachsfigurenkabinette in der Friedrichstraße: Das Passage-Panoptikum und Castan´s (der falsche Genitiv-Apostroph ist historisch verbrieft!) Panoptikum. Beide Etablissements werden im Roman mit den seinerzeit aktuellen Exponaten zitiert.

Eine frühe - später kolorierte - Filmaufnahme aus dem Jahre 1896 zeigt die Friedrichstraße auf der Höhe Behrenstraße. 


"Wintergarten" Varieté


Der "Wintergarten" wurde in seinen Anfängen noch nicht als Varieté genutzt. Zunächst handelte es sich um einen bombastischen, 18 m hohen, 75 m langen und 23 m breiten Glaskuppelbau. Er gehörte zum Ende der 1870er Jahre erbauten, nicht minder pompösen "Central-Hotel" und diente zunächst tatsächlich als eine Art jahreszeitunabhängiger Lustgarten, mit Palmen und Schlingpflanzen, Springbrunnen und künstlichen Grotten. Nachts konnte man durch die Glaskuppel in den Sternenhimmel schauen (Die Kuppel wurde 1900, bei einem zweiten Umbau, mit Platten abgedeckt und innen von Hunderten von Glühbirnen beleuchtet).

In der Saison 1886 wurden die bis dahin für Konzerte benutzte Wintergarten erstmals durch Tanz- und Gesangsnummern ergänzt, und ein Jahr später fand - nach einem Intendanzwechsel und entsprechenden Umbauten - die erste Varieté-Vorstellung statt. 1895 schließlich führten die Brüder Max und Emil Skladanowski im "Wintergarten" einem staunenden Publikum die ersten bewegten Bilder vor und legten damit den Ursprung des "Kintopps" in Berlin. Die in "Der Tod der Schlangenfrau" genannte Pantomimin Félicia Mallet trat übrigens "im wahren Leben" ebenso im "Wintergarten-Varieté" auf wie die im Buch zitierte "Damenimitatorentruppe". 

Fotografinnen


Fotografin war einer der ersten von Frauen selbstständig ausgeübten technischen Berufe, wobei "technisch" natürlich nicht ganz zutrifft, da zum Fotografieren neben dem Handwerklichen natürlich auch eine künstlerische Begabung gehört. Allen Pionierinnen voran ist Bertha Wehnert-Beckmann (1815-1901) zu nennen: Sie war die erste Berufsfotografin Europas und wagte sogar den Sprung in die Neue Welt: Sie betrieb von 1849 bis 1851 ein erfolgreiches Fotoatelier in New York.

Ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts zog die damals 24-jährige Österreicherin Anna Katharina Lentsch gemeinsam mit ihrer 20-jährigen Schwester Barbara als Wanderfotografin durch Österreich, Deutschland, die Schweiz, Russland und die Türkei und legte schließlich in ihrer Heimat den Grundstein einer ganzen Fotograf_innen-Dynastie. Ihre Landsmännin Marianne Strobl (1865-1917) fotografierte zwischen 1894 und 1917 Großbaustellen und Industriebetriebe und war somit wohl die erste europäische Industriefotografin, und Marie Goslich (1859-1938) dürfte die erste deutsche Fotojournalistin gewesen sein. Unsere Romanheldin Auguste befindet sich also in illustrer Gesellschaft!

Orientalismus um 1900


Kein Fernsehen, kein Kino und keine Flugreisen in exotische Paradiese - ja, nicht einmal Farbfotos gab es anno 1896 in Deutschland! Also träumte man sich mittels üppig-bunter Ölbilder in eine schwül-erotische Welt aus Tausendundeiner Nacht; eine Welt, in der sich wunderschöne, halb- bis ganz nackte junge Frauen in den Pfühlen aalten. Tatsächlich zeigte das "Passage-Panoptikum" in der Friedrichstraße anno 1896 - wie es in der entsprechenden Zeitungsanzeige hieß - einen "Harem aus der afrikanischen Stadt Keyrowan: Haremsfrauen und Kinder, Tänzerinnen, Sängerinnen, Eunuchen und Sclaven". Aber wie Augustes Tante Hattie ganz recht bemerkt, gab es damals in echten Harems "bestimmt ebenso viele dicke, alte oder sogar griesgrämige Frauen wie anderswo auf der Welt. Und wenn ihnen kalt war, zogen sie sich mit Sicherheit auch deutlich weniger freizügige Kleider an."


Foto: Brandstätter

Litfaßsäule


Woher wusste die Berlinerin und der Berliner anno 1896, wann die Vorstellung mit "Samirah, der Schlangenfrau" im Wintergarten-Varieté losgeht? Natürlich aus der Zeitung! Und wenn gerade keine Zeitung zur Hand war? Dann prangten seit Mitte des Jahrhunderts Dank der genialen Erfindung des berliner Druckers und Verlegers Ernst Theodor Amandus Litfaß auf den gleichnamigen „Annoncier-Säulen“ die entsprechenden Ankündigungen! 

Und da so ein Litfaß´scher Hohlzylinder sich für eine Zweitnutzung geradezu anbietet, wurde die Litfaßsäule im Lauf der Zeit - mit regionalen Unterschieden - u.a. als Trafohäuschen, zum Pipimachen oder als Ein- und Aussstieg in die Kanalisation verwendet. Letzteres zum Beispiel in Wien für Orson Welles als "Der dritte Mann". Ausführliches Zum Thema auf:


https://www.youtube.com/watch?v=gDfuGV0MI5w


Endlich Rad fahren!


Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber die Erfindung des Fahrrads war eine der größten Errungenschaften auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Frau! Als "schamlos" und "ästhetische Zumutung" bekrittelt und sogar als "für das weibliche Geschlecht gesundheitsschädlich" bezeichnet, setzte sich das Veloziped zum Ende des 19. Jahrhunderts gegen alle Widerstände durch, und die Frauen eroberten sich auf zwei Rädern eine bis dato unbekannte Bewegungsfreiheit; sei es, indem sie ihren eigenen Aktionsradius erweiterten, sei es, indem sie - wie die im Buch zitierte Anna Kopchovsky alias "Miss Annie Londonderry" - unter großer Aufmerksamkeit der Internationalen Presse die Welt umradelten - und das sogar sogar in Kniebundhosen statt im Rock! 

Carl Peters


Dr. Carl Peters (1856-1918) wurde zu Lebzeiten und später während der Zeit des Nationalsozialismus als glorreicher „Gründer Ostafrikas“ gefeiert. Peters war Geschäftsmann und hatte - bevor das Gebiet des heutigen Tansania zur Kolonie "Deutsch-Ostafrika" wurde - mit windigen Verträgen den Einheimischen Land "abgekauft." 

Als Reichskommissar weidete er sich an der brutalen Auslöschung ganzer Dörfer. Der auf Kiswahili „Mkono wa damu“ („Blutige Hand“) genannte Menschenschlächter wurde im November 1897 vom kaiserlichen Disziplinargericht nicht etwa wegen des sadistischen Mordes an der von ihm zu sexuellen Diensten gezwungenen Afrikanerin Jagodja und ihrem mutmaßlichen Liebhaber - Peters´ Diener Mabruk - , sondern wegen „Pflichtverletzung", das heißt, nicht erfolgter Meldung einer Hinrichtung, in Abwesenheit zur Entlassung aus dem Reichsdienst und zum Verlust von Titel und Pensionsanspruch verurteilt. 

Kaiser Wilhelm II erteilte Peters bereits 1905 das Recht auf den Titel „Reichskommissar a. D.“, und 1914 erhielt Peters von Kaisers Gnaden auch seinen Pensionsanspruch zurück. Er starb vier Jahre später, am 10. September 1918.

Adolf Hitler hob das Urteil gegen Carl Peters posthum auf, und Peters avancierte in zahlreichen Büchern zum Vorbild der nationalsozialistischen Jugend. 1940 schließlich wurde er – mit Hans Albers in der Titelrolle – im seinerzeit aufwendigsten deutschen Spielfilm „Carl Peters“ zum Nationalhelden stilisiert. 

Gewerbeausstellung Berlin 1896


Sie galt als "verhinderte Weltausstellung": Zwischen Mai und Oktober verwandelte sich der Treptower Park in eine spektakuläre Mischung aus Messegelände und Vergnügungspark: Auf einem Areal von rund neunzig Hektar buhlten mehr als dreieinhalbtausend Aussteller um die Gunst des Publikums! Über die üblichen Werkschauen hinaus gab es kulissenähnliche Nachbauten eines "Alpenpanoramas", eines Viertels in "Alt-Berlin" sowie eines Kairoer Stadtviertels mitsamt "Pyramiden von Gizeh" - inclusive lebender Kamele. Man konnte sich auf dem Teich mit "Venezianischen Gondeln" herumschippern lassen oder die Nachbildungen deutscher Kriegsschiffe bestaunen, die auf der Spree paradierten.

Gestärkt in einem der zahlreichn Cafés, Restaurants und Brauhäuser ging es dann womöglich mit „Zekeli’s Riesen-Fesselballon“ in die Luft. 

Sogar eine Sternwarte hatte man gebaut. Zwar hatte deren Riesenfernrohr damals auch vier Wochen nach der Eröffnung noch niemand zum Funktionieren gebracht, aber dafür ist sie das einzige heute noch erhaltene Relikt der Ausstellung. 

Eine besondere Attrktion war die "Kolonialausstellung", auf die gesondert eingegangen wird. 

Die Kolonialausstellung 1896


Von Mai bis Oktober 1896 ergötzen sich die Berlinerinnen und Berliner, sowie zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland, auf der "Colonialausstellung" am exotischen Treiben so genannter „Schauneger“: Auf der Gewerbeausstellung (s.o.) führen Bewohnerinnen und Bewohner der deutsche Kolonien in nachgebauten "Negerdörfern" ihr vorgebliches Alltagsleben vor - Kriegstänze inbegriffen. Man kann die "Wilden" mit einem gewissen Gruseleffekt sozusagen hautnah in ihrem exotischen Ambiente erleben, während stilecht in Tropenhelme und - Anzüge gekleidete Berliner Polizisten für die Aufrechterhaltung von Sitte und Moral sorgen. 

Tagsüber sind die von Kaiser Wilhelm euphemistisch „unsere neuen Landsleute“ Genannten in nachgebauten „Negerdörfern“, untergebracht, nachts schlafen sie in eigens dafür aufgestellten Baracken, die an heutige Unterkünfte für Geflüchtete erinnern. 

Selbstverständlich wurde den Besucherinnen und Besuchern vorenthalten, dass es sich bei den angeblichen "Wilden" meist um die Eliten des jeweiligen Landes handelte; unter anderem war Friedrich Maharero, der älteste Sohn des Paramount Chiefs der Herero, Samuel Maharero, in diplomatischer Mission angereist und erreichte sogar eine Audienz beim Kaiser. Dass der deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha wenige Jahre später (1904) an seinem Volk und Mitgliedern der Nama den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts beging, konnte er damit tragischerweise nicht verhindern. 

"Tropenkoller"


Der so genannte Tropenkoller – auch Tropen-Neurasthenie genannt – diente ab Mitte der Neunzigerjahre des vorletzten Jahrhunderts zur Erklärung bzw. Rechtfertigung für eine ganze Reihe gerichtsnotorischer Gewaltexzesse gegen die einheimische Bevölkerung in den Kolonien. Deren Einwohner galten in wissenschaftlichen Kreisen als das evolutionäre Bindeglied zwischen Mensch und Tier, und entsprechend "erzog" man seine schwarzen Bediensteten wie Haustiere - mit dem Segen des Deutschen Reiches: In seiner Denkschrift „für den Dienst in den deutschen Schutzgebieten“ gab der damalige Gouverneur Deutsch-Ostafrikas, Hermann von Wissmann, folgende Anweisungen „zur Behandlung des Negers“:

"Hört der gute Einfluss des Europäers auf, so fällt der Neger schnell wieder in seine alte Trägheit und Sorglosigkeit zurück. Dabei möge man sich aber als Richtschnur den Grundsatz dienen lassen, dass der Wilde erst die Überlegenheit unbedingt anerkennen muss, bevor man ihm Güte zeigt, da er Letzteres sonst leicht als Schwäche auslegen würde."

Die Auffassung, das einheimische Personal regelrecht abrichten zu müssen, führte aufseiten etlicher weißer Kolonisten zu ungebremstem Ausleben niedrigster Triebe. Von dem nach damaliger Auffassung durch klimatisch bedingte „Nervenreizung“ verursachten Kontrollverlust waren keineswegs nur Männer betroffen. Für beide Geschlechter galt die Nilpferdpeitsche als adäquates Requisit zur „Erziehung und Kultivierung der Wilden“ – nicht selten mit tödlichen Folgen.

In Deutschland war die entsprechende Kolonialpolitik allerdings nicht unumstritten. Zentrum und Sozialdemokratie prangerten ihre Methoden als menschenverachtend an. 


Die Geschichte des Strandkorbs


Der Nordseestrandkorb ist die Urform des Strandkorbs: Aus Weide geflochten, hinten mit einer schalenförmigen, hohen Rückenlehne, die auch seitlich vor Zugluft schützte. Es gab solche Sitzgelegenheiten bereits seit der Wende auf das 16. Jahrhundert - allerdings nur in Innenräumen. Als Strandmöbel sind sie seit Beginn der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts - zunächst auf Norderney und in Schweveningen dokumentiert.

Der als "Erfinder des Strandkorbs" bezeichnete Korbmacher Wilhelm Bartelmann hatte also durchaus bereits Vorgänger, als er anno 1882 in Warnemünde für eine rheumakranke Dame namens Elfriede von Maltzahn eine bequeme, sonnen- und windgeschützte Sitzgelegenheit für ihren Aufenthalt am Meer schuf. Dank seiner enorm tüchtigen Ehefrau Elisabeth wurde Bartelmanns "Strandsitz" der Prototyp des uns heute geläufigen Strandkorbs - und dessen Vermietung ein lukratives Saisongeschäft.

Als in Sachen Daten, Namen Fakten äußerst pingelige Autorin gesteht man sich ja ungern Fehler ein, aber hier ist mir in "Der Tod der Schlangenfrau" tatsächlich ein Schnitzer unterlaufen. Zitat:

„Champagner?“

„Mir wäre Champagne du Nord bedeutend lieber!“

„Aha ..?“ 

Auguste kicherte. Der Spross einer holsteinischen Strandkorbmacherdynastie kannte sich offenbar noch nicht mit den lokalen Sagen und Legenden aus. „Hat seinerzeit Napoleon so genannt. Champagne du Nord kennt euereins auch als ‚Berliner Weiße’.“

„Chapeau. Der alte Zausel hatte offenbar Geschmack.“


Das mit dem alten Zausel Napoleon hat alles seine Richtigkeit. Dass der Vater des fiktiven, anno 1896 noch blutjungen Kriminalassistenten Jakob Wilhelmi "der Spross einer holsteinischen Strandkorbmacherdynastie" war, ist allerdings schlichtweg unmöglich, denn eine Dynastie umfasst grundsätzlich mehrere Generationen. Vater Wilhelmi kann, was die Geschichte des Strandkorbs (s.o.) angeht, also allenfalls der Begründer einer solchen sein - vorausgesetzt, er hat Nachkommen, die sein Werk fortführen. Ich hab aber zu diesem Behuf bereits Jakobs ältere Schwester Mathilde (siehe Foto) erfunden, und im nächsten "Auguste"-Abenteuer geht es (u.a.) an die Ostsee, genauer: nach Eckernförde.


Mode anno 1896


Beim Stichwort Mode der "Belle Époque" denkt man zu allererst an ausladende Damenhüte, üppige Puffärmel und unbequeme Schnürkorsetts. Und in Sachen Herrenmode fällt einem der hohe Stehkragen ("Vatermörder") und der taillierte, knielange Gehrock ("Bratenrock") ein. Darüber hinaus ging man ging nicht ohne Hut: Selbst Frauen der Unterschicht leisteten sich ein mit Ripsband und ggf. Trocken- oder Stoffblumen dekoriertes Strohhütchen (als Männerhut "Kreissäge" genannt), während Herren des gehobenen Standes Melone, Homburg oder Zylinder ("Angströhre") trugen. Zudem gab es die verschiedensten Schüler-, Studenten- und Uniformmützen. Die später (in den 20ern) "Schiebermütze" genannten Stoffmützen wurde jedoch lediglich von kleinen Jungen, Arbeitern und Sportlern getragen. Aber auch ansonsten war die elegante Damen- und Herrenmode den wohlhabenderen Schichten vorbehalten. Die einfache Frau trug Rock und Bluse und ggf. eine Halbschürze über dem Rock; ganz einfach, weil man Blusen öfter waschen konnte und wollene Röcke vor Flecken geschützt werden mussten, da sie nur mühsam mit - zudem teurem - "Waschbenzin" zu reinigen waren. "Für fein" gab es das "Sonntagskleid", das gern aus einem länger oder weiter gemachten Konfirmationskleid bestand. Im (schwarzen) Konfirmationskleid wurde zu Beerdigungen gegangen und sogar geheiratet: Weiße Brautkleider waren noch nicht die Norm.

Da Kleiderpflege war noch Schwerarbeit bedeutete, waren Kragen und Manschetten bei den Herrenhemden häufig abknöpfbar, und Arbeiter trugen ohnehin meist kragenlose Hemden, und dazu Westen, Jacken und Hosen aus Drillich oder anderen waschbaren Stoffen. Einen Eindruck der Kleidung von damals vermittelt der älteste Film der Brüder Lumière, "Arbeiter verlassen die Lumière-Fabrik" von 1895. 

"Antimakassar"


Wissen Sie, was ein "Antimakassar" ist?


Nein? Zunächst einmal: Bitte Makassar nicht verwechseln mit Massaker! Damit hat das Ganze nichts zu tun; im Gegenteil: Ein Antimakassar gehörte im ausgehenden 19. Jahrhundert in jede gepflegte Wohnstube, schützte es das teure Polstermobiliar doch zuverlässig vor der geölten Haarpracht männlicher Besucher! Gehäkelte, gestrickte und bestickte Schondeckchen ("Antimakassare") wurden in Kopfhöhe an Sofas, Sesseln - und sogar an den Polstersitzen in Zugabteilen und im Theater! - angebracht und regelmäßig gewaschen - im Unterschied zu den Haaren. Letztere wurden vielmehr allmorgendlich mit Hilfe einer - zugegeben: sehr wohlriechenden - indonesischen Kräuteröl-Mischung "in Fasson" gebracht.

Der Hauptbestandteil des heute noch erhältlichen (!) Haaröls wurde in der Umgebung der Stadt Makassar aus den Früchten des Koesambibaums gewonnen, "gewürzt" mit Ylang-Ylang und anderen Kräuterauszügen.



[Textzitat aus "Der Tod der Schlangenfrau": Jakob Wilhelmis Haar roch angenehm nach Makassar-Öl und sein Jackett nach nasser Wolle. So nah war Auguste bisher nur ihrem Vetter Gustav aus Breslau gekommen. Der umarmte sie für ihren Geschmack ein wenig allzu oft und innig, und er roch im Unterschied zu Wilhelmi nach abgestandenem Zigarrenrauch.

"Was ist ein "Makart-Bouquet"?"


In "Der Tod der Schlangenfrau" kommt es zwar nicht vor, aber dass es in Hulda Preissings Pension oder im Fuchs´schen Atelier ein "Makart-Bouquet" gab, ist mehr als wahrscheinlich. Dabei handelt es sich nicht etwa um die Duftnote eines gleichnamigen Weines, sondern um einen "unverwelkbaren" Strauß aus Trockenblumen, Gräsern, Schilf und Palmzweigen, benannt nach dem österreichischen Maler Hans Makart, einem Promi unter den Maler-Größen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Benannt wurde das "Makart-Bouquet" nach den dekorativen Arrangements in dessen Wiener Atelier. Auf einem entsprechenden Foto finden sich gleich drei Staubfänger dieser Art. Zwei davon wurden von Makarts Kollegen Eduard Charlemont sogar in Öl verewigt (re.). Bevor die älteren Semester jetzt die Nase rümpfen: Schon vergessen, dass sich Trockenblumen in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts größter Beliebtheit erfreut haben? Der schönste Rosenstrauß wurde umgehend kopfunter gehängt und fertig getrocknet in ein Väschen gestellt! Ich weiß das, ich war dabei!

Oma Emma (22 . 7. 1889 - 5. 9. 1976)


Sie war meine Großmutter mütterlicherseits; eine stattliche Dame, die jeden Morgen, nachdem sie sich im Bad - wie sie es nannte - "kultiviert" hatte, als Erstes in der Küche die Brennschere auf den Herd legte, um sich zu "ondulieren". Der anheimelnde Duft von versengten Haaren und frisch gemahlenen Kaffeebohnen zaubert mir noch heute ein wohliges Lächeln auf die Lippen. 

Oma Emma war ein typisches Kind des vorletzten Jahrhunderts: Sie liebte Marschmusik, ging jeden Sonntag zur Kirche, rauchte nicht und trug niemals Hosen. Ihre Kleider waren schlicht, dunkelblau oder schwarz, immer hoch geschlossen und meist mit einem "Bördchen" versehen - einem winzigen Stehkragen, auf dessen Mitte man wunderbar eine elegante Brosche platzieren konnte; gern mit einem kleinen Spitzenjabot darunter.

Oma Emma überlebte zwei Weltkriege, verlor vor dem 2. Weltkrieg ihren Mann und in den Fünfziger Jahren zwei ihrer drei Töchter. Trotz all dieser Schicksalsschläge blieb sie ein heiterer Mensch. 

Ich habe Oma Emma stellvertretend für die Generation der Augustes, Huldas, Lenchens und Minchens mein Buch gewidmet.

LUFTMASCHE, STÄBCHEN, PICOT UND CO.


Zu Augustes Zeiten wurde gehäkelt, was das Zeug hielt: Man konnte auf diese Weise u.a. beliebte Accessoires wie Spitzenkragen und -handschuhe herstellen, während echte Spitze - zumindest für die arbeitende Bevölkerung - unerschwinglich war. Schon kleine Mädchen lernten häklen: Nachtmützen und Passen für Nachthemden, Taschen, besonders aber Stolen und Umschlagücher. Das hatte durchaus praktische Gründe: Als Mitte des 19. Jahrhunderts noch Krinolinen getragen wurde, blieb den Damen nichts anderes übrig, als sich mittels eines Wolltuchs Schultern und Rücken zu wärmen: Eine Jacke hätte nicht über den ausladenden Rock gepasst. Die Krinoline kam aus der Mode, die kuscheligen Häkelstolen und -tücher aber blieben populär. Ab 1910 schließlich wurden Bücher mit Häkelanleitungen massenweise produziert, und nach einer Pause von gut 50 Jahren erlebte das Häkeln - und besonders die traditionelle Schultertuch - in den 60er Jahren eine fulminante Renaissance. 

Häkelanleitung

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